Wenn man den Blick gen Süden Richtung Italien schweifen lässt, sind Bitter- und Halbbitterliköre schon lange in der Tradition verwurzelt. Ob man es glauben mag oder nicht, in Deutschland sieht es ähnlich aus. Auch wenn Kräuterliköre nicht „hip“ sein mögen und sich die Deutschen nach Gin und Whisky sehnen, der Kräuterlikör ist in Deutschland traditionell verwurzelt. Dementsprechend viele gibt es am Markt, manche regional und „craft“, andere exportieren global und träumen von der Weltherrschaft. Ein eher, meiner Meinung nach zu Unrecht unbekannter Vertreter seiner Zunft ist der Original Radeberger Kräuterlikör. (Nein, er hat nichts mit der Semperoper zu tun.) Hergestellt wird der Likör in der namensgebenden Stadt Radeberg, nordöstlich von Dresden gelegen und gut mit dem Zug erreichbar.
Der halb-bittere Kräuterlikör wird in einer schicken Flasche geliefert. Lobenswert sind die 35% Alkohol, welche dem Likör spendiert wurden. Alkohol fungiert als Geschmacksträger, daher finde ich es generell gut, wenn er etwas großzügiger verteilt wird. Wenn einem der Schnaps zu stark ist, kann man ihn immer noch individuell auf seine bevorzugte Trinkstärke verdünnen. Andersherum wird es schwieriger.
Fehlt nur noch der Preis: 11€ musste ich in meinem Kaufland für eine Flasche mit 0,7 Liter Inhalt zahlen. Sehr akzeptabel, wie ich finde.
Verkostung des Radeberger Kräuterlikör
Dunkel und leicht viskos liegt der Likör im Glas. Dementsprechend langsam fließen die Schlieren ins Glas zurück.
Der Geruch ist überraschend komplex und vielschichtig. Zuallererst ist der Radeberger Kräuterlikör sehr würzig, denn es dominieren Kardamom und schwarzer Pfeffer. Dahinter, in der zweiten Ebene, kommen einem weihnachtliche Gerüche entgegen. Ich rieche denn Lebkuchen, Orangenschalen, Nelken, Süßholz, Piment und Zimt. In der Kopfnote wirkt der Likör seifig und floral, das könnten Lavendel und Ingwer sein. Eine gewissen Bitterkeit wird durch ein Hauch von Enzian suggeriert. Der Alkohol, immerhin stolze 35%, tritt nie in der Vordergrund oder fällt anderweitig großartig auf. Ganz zum Schluss kommt eine Nuance auf, die mich an Eichenholz erinnert. Lag der Radeberger mal im Holzfass? Spannend und überraschend gut!
Im Antrunk ist er viskos, mild und angenehm süß, ohne die Schwelle zur Pappsüße zu übertreten. Lebkuchengewürze wie Piment, Zimt und Nelken, Orangenschalen und Süßholz treten verstärkt auf, dahinter ist der Radeberger Kräuterlikör etwas harzig. Dann setzt eine Schärfe vom schwarzen Pfeffer, Ingwer und vor allem vom Kardamom ein. Kardamom ist eh der dominanteste Aspekt des ganzen Likörs. Wer das mag, kommt hier voll auf seine Kosten. Wohlgemerkt, die Schärfe kommt von den Gewürzen, nicht vom Alkohol. Dieser prickelt zwar, fällt aber ähnlich wie im Geruch nicht negativ auf. Erst zum Ende hin bildet sich eine leichte, aber sehr angenehme Bitterkeit aus. Ich bin, was bittere Stoffe angeht, sehr sensibel und finde deshalb gerade dieses Wechselspiel zwischen Bitterkeit und Süße sehr gelungen.
Der Nachgeschmack hält sich nicht sehr lange. Fast wäre ich geneigt zu sagen „zum Glück“, denn hauptsächlich ist die Zunge mit bitterem Chinin belegt. Dazu verbleiben am Gaumen noch die Erinnerungen an Kardamom, Orangenschalen, Piment, Zimt und Gewürznelken.
Fazit
Der Radeberger Kräuterlikör ist kein Bitterfürst. Denn er ist würzig und doch mild, wenig bitter und angenehm gesüßt. Keine rohe Gewalt, dafür eine ansprechende Vielfalt im Geschmack. Dabei sticht vor allem die Würzigkeit des Kardamoms hervor. Ein durchweg gelungener Likör. Gegenüber dem Platzhirschen mit dem Geweih auf dem Etikett die für mich überlegene Variante. Ernsthaft, warum Jägermeister, wenn man auch etwas mit Qualität haben kann? Durch aus ein Genuss wert und das nicht nur nach einem fülligem Essen. Hut ab.
Hallo Herr Mohring,
Ihre Beurteilung des Radeberger Bitter habe ich mit großer Freude gelesen. Sehr fachkundig und originell. Ich stimme Ihrer Bewertung voll zu, auch ich bin ein großer Fan dieses Likörs.
Sie haben auch Recht, den Radeberger Bitter trinke ich aus Genuss, eigentlich nie nach opulentem Essen,
Kurz nach der Wende war ich in Radeberg vier Jahre beruflich tätig (nicht in der Brauerei!), in dieser Zeit habe ich den Likör kennengelernt und bin ihm immer treu geblieben.
Leider führt das Kaufland ihn seit ein paar Jahren nicht mehr im Sortiment, das war die einzige Bezugsquelle bei uns (30 Km nordöstlich Stuttgart). Dann eben Online-Kauf beim Hersteller.
Das mache ich eben und bin deshalb auf Ihren Beitrag gestoßen.
In Radeberg gibt es ein schmuckes Verkaufsgeschäft der Firma mit der Möglichkeit der Verkostung. Ist ein Besuch wert.
Nochmals vielen Dank und auch Ihnen gegenüber „Hut ab“!.
Freundliche Grüße
Dieter Holz